Interviewerin: In der Beratung von Organisationen und Führungsverantwortlichen nennt ihr die Verknüpfung von Purpose, Personen und Prozessen als die besondere Qualität von FLIPSITE. Wie kann man sich das vorstellen?

Susanne Ehmer: Ja, wir sehen die unterschiedlichen Aspekte nicht losgelöst voneinander. Schon in oder nach einem ersten Kontakt fragen wir beispielsweise, wie Personen den Purpose wahrnehmen, wie er sie leitet oder inwieweit zentrale Prozesse sich vom Purpose ableiten. Das allein würde aber nicht genügen, deshalb schauen wir mit den unterschiedlichen „Brillen“ unserer Fachexpertisen darauf. Der Nachhaltigkeits-Blick sieht anderes als der Finanz- oder Organisations-Blick. Aus jeder Perspektive werden die Beobachtungen auch anders bewertet, gewichtet, in unterschiedliche Zusammenhänge gestellt.

Dieser Gesamtblick für eine nachhaltige Transformation macht es von Beginn an interessant und aufschlussreich, sowohl für unsere Kunden als auch für uns.

Was genau tut ihr, wenn ihr beratet und begleitet?

Schon bevor es zu einer konkreten Beratung und Begleitung kommt, beginnen bei uns bereits die Überlegungen. Wir, das heißt in der Regel mindestens drei Vertreter:innen unserer Kernkompetenzen Finanz, Nachhaltigkeit und Führung/Steuerung der Organisation, gehen mit Hirn und Herz daran, das jeweilige Unternehmen für uns „lebendig“ werden zu lassen:  wir sammeln erste Beobachtungen und Gedanken, wir entwickeln unterschiedliche Szenarien, vor welchen konkreten Herausforderungen dieses Unternehmen wohl gerade steht.

Das erste Bild ist eine Momentaufnahme. Was wisst ihr damit bereits?

Statt „Was wissen wir?“ fragen wir „Wer nimmt was wahr?“ Aus jeder Fach-Expertise beobachten wir etwas anderes. Das tragen wir zusammen. Grundlegend gehen wir davon aus, dass je nach Perspektive der Betrachterin die Situation bzw. das jeweils Erlebte unterschiedlich gesehen und beschrieben wird. Wir fragen uns, was wir im bisherigen Prozess neben den „Fakten“ und Aussagen noch beobachtet haben. Wir stellen uns ein klein wenig neben uns und schauen, was wir selbst gedacht und gefühlt haben. Zu diesem Zeitpunkt suchen wir noch keine Antworten. Das wäre zu früh, wir wollen ja nicht bei unseren ersten Bildern schon stehen bleiben. Dabei kommt selten etwas Neues heraus.

Neben unserem Wissen und unseren Erfahrungen gehört diese Reflexion und Analyse zu unseren wesentlichen Kernkompetenzen. Glaubt man kaum, man sieht es ja auch nicht!

Woran könnte man denn merken, wenn ihr diese Kompetenz nicht nutzen würdet?

Unsere Einschätzungen würden ziemlich flach bleiben. Es wäre nichts Neues, Inspirierendes für den Kunden dabei, wahrscheinlich nur etwas, was er oder sie eh schon weiß. Wir wollen ja umfassender schauen, Zusammenhänge und Wechselwirkungen erkennen. Will ein Unternehmen in eine nachhaltige Transformation  gehen, reicht es nicht, einzelne entsprechende Programme oder Standards einzuführen. Das ist zwar ein wichtiger Schritt, es muss jedoch in eine Gesamtstrategie zu Nachhaltigkeit integriert sein. Sonst verpufft es.

Wir wollen Ansatzpunkte entdecken, an denen die Organisation, die Führung, die Personen in ihren Funktionen wachsen und sich in gewünschter Richtung entwickeln können.

Hierzu nehmen wir außer den bisher ersichtlichen Prozessen, Strukturen und anderen hard facts ganz besonders auch die Personen  und deren Arbeitsbeziehungen in den Blick. Was bewegt die Einzelnen, die Teams, wo entsteht Energie und Freude, wo stockt und knirscht es?

Euer Bild wird zunehmend facettenreicher, lebendiger ….

… ja, und uns ist klar, auch das ist zunächst nur „unser“ Bild von diesem Unternehmen, es ist nicht das Unternehmen selbst.

… was geschieht als nächstes?

Manchmal geh’ ich gern ins Museum und höre zu, wie jemand ein Bild interpretiert. Das kann durchaus interessanter sein als die Beschreibungen von Kunstexpert:innen, denn es kommen ganz unerwartete Perspektiven dazu. In der Metapher bleibend könnte man also sagen, wir sind Museumsbesucher, die mit ihrem jeweiligen fachlichen Know-how ein Bild verstehen wollen. Was spielt sich hier im Bild ab, worum könnte es gehen, welche Widersprüche und welche Antworten zeigt uns das Bild?

Gleichzeitig reflektieren wir unsere Beobachtungen und prüfen unsere Hypothesen, auch um Dynamiken im Unternehmen zu erkennen. Wir bieten unseren Kunden somit eine Art Resonanzkörper, den sie in der (Weiter-) Entwicklung ihres Unternehmens gewinnbringend nutzen können.

Für den Kunden ist das sicher sehr interessant, manchmal auch überraschend oder sogar irritierend. Wie nutzt ihr das für die Beratung?

Ganz frech würde ich sagen, wir freuen uns, wenn wir überraschen oder irritieren konnten. Denn dann ist es gelungen, eine nicht gewohnte Perspektive zu öffnen! Dann kommt Bewegung in das bisherige „Spiel“. Dafür werden wir ja schließlich auch beauftragt.

Wir sind immer neugierig, was unser Bild der Organisation beim Kunden auslöst. Was es anregt, was der Kunde ganz anders sieht. Die Unterschiede sind eine wichtige Grundlage für die Entwicklungsvorhaben. Wir wollen das „Kunden-Bild“, seine gewünschte Zukunft verstehen und lebendig werden lassen.

Ihr seht den Kunden als Experte seiner oder ihrer Situation

…ja natürlich, denn die Organisation selbst weiß am besten, was sie braucht! Der Blick ist halt manchmal verstellt, wenn man mittendrin steckt. Von außen kann man da unbefangener hinschauen.

Gemeinsam mit dem Kunden entwerfen wir jetzt Szenarien, vielleicht drehen wir tatsächlich miteinander einen kleinen Film des Zukunfts-Szenarios. Wir lassen greifbare, farbige, lebendige Bilder dessen entstehen, was von der Zukunft bereits in der Gegenwart existiert – nämlich in den Vorstellungen, Wünschen und konkreten Ideen. Daraus leiten wir dann gemeinsam mögliche Lösungsschritte ab und vereinbaren die ersten Maßnahmen. Es kann losgehen – was ja bereits begonnen hat!

Die Qualität Eurer interdisziplinären systemischen Beratung ist gekennzeichnet nicht nur durch Wissen und Erfahrung, sondern sehr stark durch Euer Erspüren und Erkennen von Zusammenhängen, von Relationen und Wechselwirkungen.

Die Außenperspektive ermöglicht dem Kunden, der Organisation, in der Innenperspektive mitunter überraschende, inspirierende oder auch relativierende Ein-Sichten zu gewinnen. Unser Wahrnehmen, Beobachten und Reflektieren hat ein sehr aktives Moment. So nutzen wir beispielsweise mit unseren Kunden das „so tun als ob“. In Gedanken und auch in kreativen Ausdrucksformen lassen wir die Führungsverantwortlichen und Mitarbeitende so handeln, als würden sie jetzt ganz real diese oder jene Entscheidung treffen. Wir lassen sie es durchspielen:

  • Was würde, was könnte sich im Unternehmen anders entwickeln als bisher?
  • Welche Wirkungen könnten an welchen (Schnitt-)Stellen, bei welchen Rollen oder Aufgabenbereichen sichtbar werden?
  • Wer würde es zuerst bemerken?
  • Was würde die Finanz-Vorständin dazu sagen, was der CSR-Beauftragte?
  • Wie würde es sich in Kennzahlen abbilden?
  • Wie würde der HR- oder Group-People-Leiter die Situation beschreiben?
  • Welche Alternativen gäbe es noch?
  • Wie könnte sich das Kommunikations- oder Kooperationsverhalten der Mitarbeitenden und Führungsverantwortlichen verändern?
Ein Satz zum Abschluss?

Transformation entwickelt sich wie ein Mosaik aus unterschiedlich großen Teilen, Farben und Formen. Neugier, Können und Interdisziplinarität ermöglichen, einzelne Elemente zu erarbeiten und gleichzeitig das Gesamtbild im Blick zu haben.

Wir freuen uns, wenn wir hierbei Partner sein können – mit inspirierenden Impulsen und aktivierendem Prozess-Knowhow.

Vielen Dank für das Gespräch!